Angst und Angststörungen bei Kindern

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Angst

Angst gehört zum Leben. Teilweise ist es für Erwachsene jedoch schon schwer, sich ihr zu stellen oder mit ihr umzugehen. Klar, dass Kinder da noch größere Schwierigkeiten haben können. Wie kann ich mein Kind jedoch bestmöglich unterstützen, wenn es Angst hat und wie erkenne ich, ob nicht sogar eine Angststörung vorliegt? Frau Mag.a Ines Sindelar, mit Spezialisierung im Bereich Kinder-, Jugend- und Familienpsychologie, hat uns spannende Antworten dazu gegeben.

Was ist der Unterschied zwischen “normaler” Angst und einer Angststörung? Wo hört also normale Angst auf und wo fängt eine Angststörung an?

Angst ist ein wesentlicher und an sich normaler Bestandteil unseres Lebens. Angst hat, wie jede andere Emotion, eine nützliche Funktion. In diesem Fall soll uns die Emotion Angst vor potenziellen Gefahren bewahren. Ohne Angst würden wir ein hochriskantes Leben führen und könnten Bedrohungen nicht frühzeitig wahrnehmen. Im Kindesalter durchlaufen wir ganz alterstypische Ängste, wie zum Beispiel Angst vor Fremden, vorm alleine Schlafen, Tieren, Höhen, etc. Die Grenze zwischen „normaler“ Angst und Angststörung ist im Kindesalter oftmals schwer zu definieren. Eltern und Bezugspersonen sind daher aufgefordert, zu beobachten, ob die Angst alterstypisch ist oder es zu Einschränkungen in der Entwicklung des Kindes führt beziehungsweise ein großer Leidensdruck durch die Angst besteht. Angststörungen zählen zu den häufigsten psychischen Störungen und treten etwas häufiger bei Mädchen auf. Meistens treten generalisierte Ängste, soziale Phobien und Trennungsangst auf. Kennzeichnend für Angststörungen im Kindesalter ist vor allem, dass die Ängste nicht (mehr) altersentsprechend sind, die Angstreaktion zu stark für die Situation ist und die soziale Interaktion mit Erwachsenen und anderen Kindern beeinträchtigt ist. Ein weiterer Hinweis, dass Eltern professionelle Hilfe in Anspruch nehmen sollten, ist, wenn die Ängste trotz aller Bemühungen nicht weniger werden.

Die letzten Jahre waren gerade für Kinder auch sehr fordernd, die Nachrichten der letzten Wochen sogar noch mehr. Wie kann ich mein Kind bestmöglich unterstützen, wenn es Angst hat?

Kinder entdecken in ihrer Entwicklung nach und nach die Welt und werden mit vielen Informationen konfrontiert, die sie noch nicht einordnen können. Eltern empfehle ich, alle Sorgen und Ängste ihrer Kinder ernst zu nehmen, auch wenn es aus Erwachsenensicht nicht immer nachvollziehbar ist. Kinder brauchen die Gelegenheit, über ihre Ängste sprechen zu können und gemeinsam Wege zu finden, mit der Angst umzugehen. Ein geduldiger Umgang mit der Situation und dem Kind sind sehr wichtig. Kinder lernen sehr viel durch Rollenvorbilder. Natürlich am meisten von ihren nahestehenden Bezugspersonen. Wie gehen die Eltern mit ihren eigenen Ängsten und ganz allgemein mit ihren Emotionen um? Ein Bild sagt oft mehr als tausend Worte, daher gibt es viele Kinderbücher zum Thema Ängste, welche gemeinsam gelesen werden können. Anhand der Geschichten können sich die Kinder mit ihrer Angst auseinandersetzen und sie bewältigen. Gute Gegenspieler zu Ängsten sind Entspannung und fröhliche Gedanken, überhaupt vor dem Schlafen. Eltern können Kinder darin unterstützen, dass sie sich selbstwirksam fühlen, also lernen, dass sie sich selbst helfen können und ihre Handlungen auch eine Wirkung im Leben haben. Die elterliche Reaktion kann zu viel Angst im Kind erzeugen. Wenn Eltern eine hohe Ängstlichkeit zeigen, während sich Kinder spielerisch erproben und Neues ausprobieren, kann dies das Kind verunsichern und auch beim Kind zu übertriebener Ängstlichkeit führen. Es kann ein richtiger Angst-Teufelskreis entstehen, wenn sich Eltern zu sehr ängstigen, das Kind diese Angst spürt und dann auch mit Angst reagiert. Eine zu starke, überfordernde Konfrontation des Kindes mit seinen Ängsten wäre das andere Extrem und sollte ebenfalls vermieden werden.

Wenn man also auf die Ängste seines Kindes eingeht und das Gespräch sucht, sollte das Angst auslösende Thema nur kurz besprochen und dann abgelenkt werden oder ist es förderlicher mehr Platz zu geben?

Wie viel Zeit man für die Gespräche zur Verfügung stellt, hängt auch sehr vom Bedürfnis des Kindes ab, darüber zu reden. Keinesfalls sollte mit „Floskeln“ das Gespräch abgetan werden. Jedenfalls ist nach einem Gespräch über Ängste eine ausgleichende folgende Aktivität sinnvoll, um das Kind wieder aus der negativen Emotion herauszuführen. Rollenspiele, Geschichten, etc. können als Bewältigungsstrategie eingesetzt werden, wenn dafür gesorgt ist, dass es ein „Happy End“ gibt, also die Angst im Spiel oder in der Geschichte überwunden werden kann. Einige Kinder profitieren sehr von Krafttieren, Heldenfiguren und ähnlichem. Diese kann man basteln oder malen und bei sich führen. In diesen Gesprächen und Handlungen ist das Ziel, dem Kind Mut zu machen und Selbstvertrauen zu schenken. Aber auch zu erklären, warum Angst in „normalen“ Maß ein guter Freund sein kann.

Wenn ich als Elternteil selbst Angst habe, ist es förderlicher dem Kind diese zu zeigen oder sollte man da schon vorsichtig sein, um diese nicht auf das Kind zu übertragen?

Angst gehört zum Leben und so auch der Umgang damit im Alltag. Auch Eltern haben Ängste und können als gute Rollenvorbilder dienen, wenn sie vorleben können, wie sie diese bewältigen. Eltern können erzählen, dass sie als Kind auch vor manchen Dingen Angst hatten und wie sie damit erfolgreich umgegangen sind. Vorsicht ist geboten, wenn Eltern selbst zu übertriebener Ängstlichkeit neigen oder unter einer Angststörung leiden. Professionelle Unterstützung kann hier sowohl Eltern als auch Kindern helfen.

Weil wir gerade beim Thema Angststörungen sind. Es gibt ja verschiedene Formen der Angststörungen. Welche Unterschiede gibt es da?

Ja, es gibt verschiedene Formen der Angststörung. Manche beziehen sich auf spezifische Situationen (spezifische Phobien), manche sind eher durch eine generelle Ängstlichkeit (generalisierte Angststörung) gekennzeichnet. Es kann zu Agoraphobie, Panikstörung und sozialer Phobie kommen. Bei Kindern kann auch eine emotionale Störung mit Trennungsangst entstehen.

Wie unterstütze ich mein Kind bestmöglich bei einer Angststörung? Gibt es generell unterschiedliche Herangehensweisen bei verschiedenen Angststörungen?

Wenn Eltern den Verdacht haben, dass eine Angststörung bei ihrem Kind vorliegen könnte, ist eine diagnostische Abklärung sowie Behandlung der Angststörung durch Psycholog:innen, Psychotherapeut:innen oder Psychiater:innen sinnvoll. Gemeinsam mit den Expert:innen kann die Herangehensweise und Behandlung individuell abgesprochen werden. Die Auswahl der Behandlungsmethode erfolgt je nach Angststörung. Eine Konfrontation mit dem angstauslösenden Reiz sollte nur nach professioneller Anweisung erfolgen, da dies die Angst noch mehr verfestigen kann. Generell ist auch hier eine geduldige und zuversichtliche Haltung der Eltern wichtig.

Wie entstehen Angststörungen? Kann ich als Elternteil von Anfang an sogar dagegen wirken oder gibt es auch erbliche beziehungsweise andere Faktoren, die nicht einfach „umgangen“ werden können?

Psychische Störungen entstehen durch eine Kombination von biologischen, individuellen psychischen und sozialen Gegebenheiten (Bio-psychosoziales Erklärungsmodell). Es hängt also vom Zusammenspiel dieser drei Bereiche ab, ob psychische Störungen auftreten oder nicht. Das Auftreten sozialer Ängstlichkeit beispielsweise kann gehäuft in Familien gefunden werden. Das Temperament eines Kindes kann die Entstehung von Angststörungen beeinflussen. Bei etwa 15-20% der Kleinkinder zeigt sich eine Verhaltenshemmung als stabiles Temperamentsmerkmal. Diese Verhaltenshemmung zeigt sich im Alltag durch Zurückhaltung und mitunter Schüchternheit. Das elterliche Erziehungsverhalten beziehungsweise die soziale Umwelt des Kindes haben bei der Entstehung sozialer Ängste eine bedeutende Rolle. Bei überängstlichen Bezugspersonen und einem Kind mit Verhaltenshemmung können soziale Ängste leichter entstehen. Auch traumatische Erfahrungen, außergewöhnliche Belastungen, kritische Lebensereignisse, etc. können zu Angststörungen führen.
Die Entstehung einer Angststörung kann nicht immer „umgangen“ werden, aber ein unterstützender, wertschätzender, zugewandter und respektvoller Umgang mit dem Kind kann das Kind in seiner Widerstandskraft (Resilienz) stärken. Wesentlich ist unter anderem die Stärkung des Selbstvertrauens, die Vermittlung eines positiven Selbstbildes und das Erleben von Kompetenzen für die kindliche Entwicklung.

Kann man grob sagen, ab wann man besser eine/n Psychologen/in aufsuchen sollte?

Kennzeichnend für Angststörungen im Kindesalter ist vor allem, dass die Ängste nicht (mehr) altersentsprechend sind, die Angstreaktion zu stark für die Situation ist und die soziale Interaktion mit Erwachsenen und anderen Kindern beeinträchtigt ist. Ein weiterer Hinweis, dass Eltern professionelle Hilfe in Anspruch nehmen sollten, ist, wenn die Ängste trotz aller Bemühungen nicht weniger werden. Es kann aber ratsam sein, schon prophylaktisch Erziehungsberatung zum Thema Angst in Anspruch zu nehmen, bevor es zu einer Angststörung kommt. Eltern können ihre Kinder gut unterstützen, wenn sie ein Wissen über alterstypische Ängste, Angststörungen und Begleitung ihrer Kinder beim Umgang mit Angst haben.

Mit dem Thema Angst kann man ganze Bücher füllen. Das würde den Rahmen eines Beitrags natürlich sprengen, weshalb wir nur ein wenig an der Oberfläche des Themas kratzen. Gibt es aber etwas, dass Ihnen besonders wichtig ist und Sie selbst gerne noch hinzufügen würden?

Die Emotion Angst, alle körperlichen Begleiterscheinungen und der Umgang damit sind wesentlich für die kindliche Entwicklung. Angst gehört zu den evolutionär bedingten Basisemotionen und hat eine wesentliche Funktion, die unser Überleben und unsere Entwicklung sichern soll. Eltern können ihre Kinder gut bei dieser Entwicklungsaufgabe unterstützen, wenn sie selbst einen guten Umgang mit ihrer eigenen Angst gefunden haben. Ziel ist es jedoch nicht, Kindern eine völlig angstfreie Umgebung zur Verfügung zu stellen, da sie sonst keine Bewältigungsstrategien für ihr Leben erlernen können.

Wir bedanken uns ganz herzlich bei Frau Mag.a Ines Sindelar für das spannende Interview!
Informationen zu dem Angebot und Publikationen von Frau Mag.a Sindelar findet ihr unter bunteralltag.at