Krebs mit 20 – vom Mama sein, Lebensenergie und Metastasen

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Der Großteil unserer Leser aus Österreich kennen Michelle aus der vergangenen Staffel von ATV’s Bauer sucht Frau. Die hübsche Wienerin hat sich während ihrer Hofwoche in die Herzen der Zuschauer gestrahlt. Nicht umsonst trägt sie den Spitznamen „Sunny“. Kaum eine andere Bewerberin hat so viele Abonnenten auf Instagram generiert. Einer der Gründe ist bestimmt das positive und authentische Auftreten von Michelle und das trotz einiger Schicksalsschläge. Die heute 31-jährige Mama eines 7-jährigen Sohnes erkrankte mit 20 Jahren an einer seltenen Form von Krebs. Ich durfte Michelle besuchen und ihr ganz unverblümte Fragen zu ihren Ängsten, Wünschen und Ansichten stellen. Zu behaupten dieses Gespräch sei inspirierend gewesen wäre eine absolute Untertreibung.


Mit 20 Jahren hast du ja die Diagnose Krebs bekommen. Soweit ich informiert bin hattest du einen Weichteiltumor in deinem Fuß, der bei der Entdeckung schon „gestreut“ gehabt hat. Sprich, du hattest schon Metastasen und hast gleich mit der Chemotherapie begonnen. Das hat es folglich auch unmöglich gemacht deinen Job weiter auszuführen.
Genau. Begonnen hat es mit einer Beule im Fuß. Meine Schwester und ich haben noch Scherze gemacht und meinten ein Fuß schaut aus als wäre er von J-Lo und der andere wie von Victoria Beckham. Der Unterschied war deutlich sichtbar. Es war dann leider nicht ganz so lustig. Ich habe meine Arbeit als stellvertretende Salonleitung eines Frisörs aber nicht sofort aufgegeben, weil ich dachte, ich kann vielleicht doch wieder zurück. Mir war dann aber schnell bewusst, dass ich in dieses Berufsfeld gar nicht mehr zurückwollte. Die Diagnose war auch ein Weckruf. Die Ausbildung zur Frisörin habe ich damals wegen einer Freundin begonnen. Mit 15 weiß man halt auch oft noch nicht, wo man hin will. Frisörin sein war zwar cool, weil es voll kreativ war und ich mein Verantwortungsbewusstsein ausleben konnte, mir wurde aber ziemlich schnell klar, dass diese Diagnose für mehr da ist, auch um mich wach zu rütteln, damit ich mein volles Potenzial auslebe.

…es wäre weder vom Hormonstatus aus machbar gewesen noch von der therapeutischen Seite aus.

Mit Anfang 20 ist die Familiengründung natürlich oft ein Thema, hattest du zu dem Zeitpunkt auch einen Kinderwunsch und Angst, dass dieser jetzt nicht erfüllt werden kann?
Ich bin tatsächlich voll der Kindermensch und Kinder kleben auch immer an mir. Ich wollte immer ein, maximal zwei Kinder haben, mit Ende 20, Anfang 30. Nachdem ich meine Periode während der Chemotherapie schon nur mehr sporadisch bekommen habe, habe ich das natürlich abchecken lassen und dann habe ich von diversen Ärzten gesagt bekommen, dass das nicht mehr möglich sein wird. Eine Heilung war ja sowieso ausgeschlossen und es wäre weder vom Hormonstatus aus machbar gewesen noch von der therapeutischen Seite aus. Dieses Medikament, das ich für die Chemotherapie nehme, das zerstört Zellen, beziehungsweise sorgt es dafür, dass Zellen sich nicht mehr entwickeln. Ein schlechtes Umfeld für ein Baby, das ja Zellen entwickeln muss.

Du bist jetzt aber Mama eines 7-jährigen Sohnes...
Wir haben sogar verhütet und ich wollte sicherheitshalber noch „die Pille danach“ nehmen, was ich auch gemacht habe, um wirklich sicherzugehen. Keine Ahnung, warum ich das Gefühl gehabt habe. Trotz ganz vieler Türen, die verschlossen waren, hat er sich da echt durchgeboxt.

Das muss bestimmt furchtbar sein, wenn man von den Ärzten gesagt bekommen hat, dass eine Schwangerschaft eigentlich unmöglich ist und die Chemotherapie das Baby abgehen lassen sollte.
Ich muss sagen, dass es bei meiner Therapie immer so war. Vier Wochen musste ich sie nehmen und zwei Wochen habe ich pausiert. Das ging von der Dosierung her, damit ich ein halbwegs normales alltägliches Leben meistern konnte. Um die Weihnachtszeit damals habe ich die Pause aber noch verlängert bis zu meinem Geburtstag im Januar. Zu Silvester ist mir aufgefallen das der Sekt gar nicht schmeckt und in der fünften Woche habe ich dann bemerkt das irgendetwas nicht stimmt und deswegen habe ich einen Schwangerschaftstest gemacht. Der war dann gleich positiv. Im ersten Moment war das schon ein Schock und ein Zwiespalt zwischen „Was mach ich jetzt?“ und der Freude „Ich bin schwanger!“ Ich habe aber von der ersten Sekunde an ein unglaubliches Gefühl von unendlicher Liebe gehabt für ein Wesen, das ich noch nicht mal ansatzweise gespürt habe.

Wie haben dann deine weiteren Schritte ausgesehen?
Als Erstes habe ich es meiner Mama erzählt und ihre Reaktion war auch mal nicht die, welche du dir erhoffst, wenn du deiner Mama sagst, dass du schwanger bist. Dann hat sie aber zu weinen angefangen und gemeint sie weiß nicht, was sie machen soll, weil eigentlich freut sie sich so und genau gleich ist es mir auch gegangen.
Wir haben sofort einen Notfall-Termin bei meinem Onkologen vereinbart. Der Termin war aber wenig aufbauend. Er meinte „Sind sie wahnsinnig! Das ist kein Baby, sondern ein Embryo, da ist noch gar nichts. Sie bringen sich um, wenn sie das bekommen!“ und auch dem Kindsvater hat er damals ein schlechtes Gewissen eingeredet und gefragt, ob er eigentlich weiß, dass er eventuell mit dem Kind alleine da stehen wird, wenn überhaupt ein Kind zusammen kommen wird und selbst wenn es bestmöglich ausgeht wird das Kind schwerbehindert oder kommt zum Beispiel ohne Fuß auf die Welt. Er hat mich in die Gynäkologie geschickt und dort wurde bestätigt, dass ich schwanger war. Man hat den Herzschlag sehen können und es wurde ebenfalls bestätigt, dass mein Kind normal entwickelt für die entsprechende Woche ist.

Liebe kann alles heilen.

Hattest du Zweifel, ob du die Schwangerschaft wirklich fortsetzen solltest, nach den Kommentaren des Arztes?
Ich war wild entschlossen, dass ich dieses Kind bekomme. Irgendeine Stimme in mir hat gesagt, das wird mich jetzt heilen. Ich weiß nicht warum, aber das habe ich mir eingeredet, weil ich so viel Liebe in mir hatte und ich war immer der Ansicht – Liebe kann alles heilen. Angst, Sorgen und negative Gefühle waren wie ausgelöscht. Ich weiß nicht, woher das kam, aber in mir war dieser Gedanke „jetzt bin ich dann geheilt“ und die unendliche Liebe so fest verankert, dass nichts anderes Platz hatte.

Wie hat die restliche Schwangerschaft dann ausgesehen? Du musstest bestimmt öfter Untersuchungen machen als es sonst üblich ist, oder?
Genau, ich musste alle zwei Wochen zur Untersuchung. Der Beginn der Schwangerschaft war schon hart, da ich Entzugserscheinungen von der Chemo hatte. Deswegen musste ich oft brechen und hatte unfassbare Kopfschmerzen. Nach der zehnten Woche ist es mir aber plötzlich besser gegangen als die ganzen 3 Jahre davor mit Medikamenten und Co. Ich habe einfach ein tiefes Gefühl von Liebe und Dankbarkeit gespürt. Ich hatte auch eine normale Geburt, obwohl mir davon abgeraten worden ist. Natürlich habe ich abgewartet und geschaut, ob ich körperlich stark genug bin. Ich habe mich während der Schwangerschaft aber immer besser und besser gefühlt, weshalb ich entschieden habe auf einen Kaiserschnitt zu verzichten, wenn es nicht ein Notfall werden sollte.

…weil mich das sofort aus meiner Traumwelt oder Wunschwelt geholt hat und zurück in die Krebsrealität geholt hat.

Wie ging es dann nach der Geburt weiter?
Ich durfte nicht mal stillen, was für mich ein großes Thema war, aber irgendwo hat die Vernunft dann auch gesiegt. Es ist schon echt wichtig nach 9–10 Monaten, dass man mal nachschaut, was der aktuelle Status ist. Nach dem CT hat mich die Realität eingeholt. Die Metastasen in der Lunge sind während der Schwangerschaft gewachsen. Das war auch der Moment, der wirklich schlimm für mich gewesen ist, weil mich das sofort aus meiner Traumwelt oder Wunschwelt geholt hat und zurück in die Krebsrealität geholt hat. Ich hatte Angst, dass ich jetzt dann irgendwann sterbe und auf einmal mein Kind alleine ist. Vor der Schwangerschaft war der Gedanke eher – ist halt so. Ich hau jetzt voll rein und wenn ich sterbe, kann ich es eh nicht ändern. Mit Kind war es natürlich eine komplett andere Situation. Immerhin gibt es Dinge im Leben seines Kindes, die man erleben will. Deswegen habe ich dann sofort wieder mit der Therapie angefangen.

Das bedeutet, du hast gleichzeitig eine Chemotherapie gestemmt und dich um ein kleines Baby gekümmert?
Ja, das war auch wirklich ganz, ganz schlimm. Mein Kind war ein „Schreibaby“ und hat sehr schlecht geschlafen. In den ersten Monaten waren es nie mehr als 2 Stunden am Stück und das war natürlich ganz schlimm für mich, denn was ich dringend gebraucht hätte, unabhängig davon, dass das jede Mutter braucht, wäre Schlaf gewesen. Ich habe leider auch wenig bis keine Unterstützung von meinem damaligen Partner bekommen. Wenn ich brechen musste, habe ich meinen Sohn in den Stubenwagen gelegt und neben mich gestellt. Er hat dann meistens so zu weinen begonnen, dass er auch erbrechen musste. Also habe ich, während dem Übergeben immer wieder geschaut, ob er nicht an seinem erbrochenen erstickt. Ich hatte wirklich Angst um ihn. Durch den Schlafmangel und die Umstände habe ich da auch das erste Mal ausgesehen wie ein krebskranker Mensch. Zumindest so wie immer alle meinen, dass einer aussehen müsse. Meine Mama war zu der Zeit voll berufstätig, ist dann aber eingeschritten und hat mir den Kleinen einmal in der Woche für ein paar Stunden abgenommen. Ich erinnere mich noch, wie ich vor der Türe gesessen bin, als die beiden gegangen sind, zusammengebrochen bin und geweint habe. Für mich war der Moment einfach so schrecklich, von meinem Kind getrennt zu sein. Irgendwann bin ich aber einfach am Boden eingeschlafen, weil ich schon so fertig war. Eine Woche später ging es dann schon leichter. Da habe ich mich wenigstens auf die Couch zum Weinen gelegt und bin dann dort eingeschlafen. Irgendwann war ich dann aber froh und habe mich schon auf den Tag gefreut, um wieder ein bisschen Kraft sammeln zu können. Er war generell am liebsten 24 Stunden auf mir. Wir haben einander richtig gebraucht und ich glaube, er hat gespürt das er mich verlieren könnte und ich hatte Angst das er ohne mich sein muss. Dadurch war diese Bindung zwischen uns so stark und beide hatten Verlustängste. Mit 6–7 Monaten hat er dann auch das erste Mal bei meiner Mama geschlafen.

Die Tage mit Säuglingen und Kleinkindern sind ja oft anstrengend und kräftezehrend, auch wenn man nicht nebenbei noch eine Chemotherapie stemmen muss. Gab es etwas, das dir besonders Kraft gegeben hat? Zum Beispiel eine besondere Freundin, die immer da war, meditieren oder ähnliches? Oder warst du wirklich nur auf Überlebensmodus und hast versucht dich da einfach irgendwie durchzukämpfen?
Ich muss wirklich sagen, dass ich immer schon gesegnet war mit einem sehr großen Umfeld. Nachdem ich ein sehr sozialer Mensch bin, habe ich immer schon viele Kontakte gepflegt und wenn man sein Leben lang so lebt, hat man dann natürlich auch ein dementsprechendes Umfeld. Ich hatte damals auch eine tolle beste Freundin, die mich da emotional auf alle Fälle durch getragen hat. Meine Mutter war auch ganz klar mein größter Halt. Also würde ich sagen Familie und Freunde. Meine Mama war auch für meinen Sohn eine ganz wichtige Person. Nachdem mein damaliger Partner die Verantwortung für unser Kind zu der Zeit damals nicht übernehmen konnte, war es ein Trost zu wissen, dass mein Sohn immerhin noch meine Mama haben wird, wenn es mich mal nicht mehr gibt. Sie ist dann, wie er 4 Jahre alt war, in ein Wachkoma gefallen. Womit mein sicherer Hafen weggefallen ist. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich eigentlich wieder gut gefangen. Ich war wieder positiv und voll in meiner Mitte, so nach – ich habe mein Kind und ich bin unendlich dankbar. Dann hat es mich so richtig am Boden geschmissen. Neben dem Verlust meines Felsens auch noch die Angst, was jetzt mit meinem Kind passiert, wenn etwas mit mir ist – furchtbar. Überhaupt, weil ich das Gefühl seine Mama zu verlieren jetzt aus erster Hand kannte.

Ich habe mir die Folge des „Seelengeplapper Podcasts“ mit dir im Vorfeld angehört. Da hast du die Vorkommnisse mit deiner Mama besprochen. Hast du deinem Sohn von Anfang an eingeweiht in deine und ihre Krankengeschichte oder wolltest du es fernhalten von ihm bis zu einem gewissen Alter?
Ich finde, das ist das schlimmste, das du deinem Kind antun kannst. Besser, die Wahrheit, mit klarer Kommunikation. Kinder suchen die Fehler bei sich, wenn du dich komisch verhältst, wütend oder traurig bist – sie glauben, das hat mit ihnen zu tun. Verstecken hätte ich es aber sowieso nicht können, denn ich musste ihn oft zu Behandlungen und Untersuchungen ins Krankenhaus mitnehmen.
Er wusste, wenn es mir schlecht ging, durfte er dafür mehr fernsehen oder er ging zur Oma und sobald es mir wieder besser gegangen ist, haben wir geplante Aktivitäten nachgeholt. So richtig greifbar wurde es aber denke ich erst für ihn als ich den Hirntumor hatte. Das war 2020. Ein Jahr zuvor ist meine Mutter wegen eines Gehirntumors eben ins Wachkoma gefallen. Das hat meinen Sohn furchtbare Angst gemacht, weil er dachte, ich gehe jetzt auch für immer schlafen wie die Oma. Er wollte auch keinen Tag aus dem Spital raus, weil er dachte, wenn er morgen kommt, schlafe ich auch. Ich habe dann versucht ihn an einer Walnuss zu zeigen, was der Herr Dr. machen wird. Glücklicherweise ist sein Papa zu dem Zeitpunkt meiner Operation mit ihm 3 Tage nach Barcelona geflogen. Dafür war ich ihm sehr dankbar, denn ich war nicht gleich wieder ansprechbar und bin auf der Intensivstation gelegen. 2 Tage später wurde ich auf die normale Station verlegt und er durfte mich wieder besuchen kommen. Das war von Anfang an auch mein Ziel es in 2 Tagen wieder auf die normale Station zu schaffen, denn in der Intensivstation hätte er mich nicht besuchen dürfen. Der Moment als er dann durch die Tür hereingekommen ist, war … er hat sofort zu weinen begonnen vor Freude und ich auch.

Da muss auch eine unglaubliche Last und Angst von dir gefallen sein, nachdem deine Mama ein Jahr zuvor durch den gleichen Eingriff ja in ein Wachkoma gefallen ist.
Prinzipiell ja, als ich die Diagnose bekommen habe, hatte ich Angst, war in Schockstarre und hab geweint, aber ich weiß nicht, was in mir drinnen ist – es ist so hoffnungslos positiv. Ich wäre manchmal gerne negativ und würd sagen, dass alles scheiße ist und dass ich alles und jeden hasse, aber ich habe mehr die Gedanken – ja es ist da und ja es macht mir Angst, okay! Kenn ich alles, aber dann kommt eine Stimme, die mir sagt „Aber da wird nichts sein. Das schaffst du schon! Nächster Lernprozess …“
Ich war kurz davor auch auf einem Persönlichkeitsentwicklungsseminar und war davon noch so inspiriert und voller Liebe. Außerdem weiß ich einfach, dass meine Aufgabe noch nicht erledigt ist. Das habe ich auch damals gespürt. Ich wusste, dass ich das jetzt erleben muss, damit ich noch mehr lerne und dann muss ich raus in die Welt und darüber reden. Den Leuten klarmachen, dass Krebs kein Tabuthema und keine Todesdiagnose mehr ist.

Der Papa kann morgen genauso einen Unfall haben…

Ein Morgen ist sowieso auch ohne Erkrankung nie garantiert.
Genau! Einmal meinte ich zu meinem Sohn auch „Der Papa kann morgen genauso einen Unfall haben und nicht mehr kommen. Das ist das Leben. Wir Menschen sind vergänglich, aber solange wir da sind, machen wir das Beste daraus“.

Würdest du deshalb raten, dass jeder bestimme Vorkehrungen treffen sollte? Wie „Wo kommen meine Kinder hin, sollte mir etwas passieren“ …
Nein. Ich bin generell kein Mensch, der zu sehr in der Zukunft lebt. Klar könnte man jetzt sagen „Aber du hast Krebs und du solltest …“, aber ganz ehrlich. Warum sollte ich mir jetzt Gedanken machen über etwas, das passiert, wenn ich nicht mehr da bin? Ich weiß nicht, ob ich in einem Jahr oder zwei, fünf Jahren sterben werde. Ich weiß nicht, wer in fünf Jahren seine Bezugsperson ist. Das Einzige, dass ich gemacht habe ist, dass ich beim Familiengericht mit einer Richterin aufgenommen habe, dass wenn ich sterbe ein Gerichtsverfahren eingeleitet wird und dort mit meinem Kind gesprochen wird, wo es leben möchte. Für mich ist es das einzig wichtige. Es muss gut überlegt werden, wo er weiterlebt. Das Leben verändert sich ständig. Was jetzt gut ist, muss nicht in drei Jahren gut sein.

Ich habe schon oft gesagt, dass der Krebs auch ein Geschenk gewesen ist.

Ich finde deine Ansichten super interessant. Ich hätte mir ehrlich erwartet, dass jetzt eher eine Liste kommt mit – mach unbedingt das und vergiss nicht auf das. Würdest du meinen, dass du das Leben durch deine Diagnose anders siehst, vielleicht sogar intensiver lebst und andere Dinge schätzt als zuvor? Viele Menschen leben wie in einer Blase oder Endlosschleife – arbeiten, essen, TV, schlafen, arbeiten … kannst du da behaupten, dass deine Erkrankung zumindest auf diesen Bereich ganz wenig positiven Einfluss hat und hatte?
Ich habe schon oft gesagt, dass der Krebs auch ein Geschenk gewesen ist. Eben, weil ich aus dieser Blase erwacht bin. Mein Leben war genauso wie du aufgezählt hast bis auf das Fernsehen, denn das ist sich nicht mal mehr ausgegangen. Nie wieder würde ich in so ein Leben zurückgehen. Wenn ich Leute in meinem Umfeld beobachte, die das manchmal noch so machen, zeigt es mir umso mehr, wie dankbar ich für diese Ansicht bin. Mir wurde bewusst welches Geschenk unser Leben eigentlich ist und dass wir es nicht erst schätzen lernen sollten, wenn wir eine schwere Diagnose bekommen oder einen Schicksalsschlag erleben. Man muss sich klarmachen, dass das Leben nicht für immer ist. Durch diese Gedanken empfinde ich eine große Dankbarkeit und Intensität. Zum Beispiel, wenn ein schöner Tag ist und ich auf der Terrasse sitze, mache ich die Augen zu und nehme mit bewusst einen Moment Zeit, um zu reflektieren, wie gut es mir gerade geht und wie dankbar ich trotz allem bin. Meiner Meinung nach ist das ein Grundbaustein, den wir alle in unser Leben einbauen sollten.

Werde dir bewusst, was du willst und kommuniziere ohne jeglichen Filter.

Gibt es generell einen Tipp, den du anderen mitgeben möchtest?
Das allerwichtigste ist Kommunikation. Lern zu kommunizieren! Ich habe so oft Sachen nicht gesagt, aus Scham oder Angst, was andere denken können. Rede, rede, rede! Das ist mein wertvollster Tipp, den ich echt jeden Menschen mitgeben will. Werde dir bewusst, was du willst und kommuniziere ohne jeglichen Filter. Wofür stehst du? Wofür lebst du? Was ist dir wichtig? Und das dann kommunizieren. Egal ob zum Beispiel die eigene Mutter mit der Ansicht kann oder ob der Partner die Ansichten versteht – du bist wichtig! Das Leben ist vergänglich, also mach das draus, was für dich wichtig ist! Klar steht als Mutter das Kind immer über einem selbst, aber sonst sollte keiner über einem stehen. Das war eine Einsicht, die ich heute in gewissen Situationen auch noch immer wieder lernen darf. Was ich jedoch kann, ist geradeheraus kommunizieren, was ich mir denke. Natürlich bin ich zu niemanden ungut, aber ich habe dadurch gelernt Grenzen zu setzen. Sicher sind Bücher, Seminare und Mentoren Möglichkeiten, aber es geht ums eigene Leben, weshalb ich gar nicht so viel im Außen danach suchen würde, sondern nach Innen sehen würde, mit Fragen wie „Was hat mir als Kind Spaß gemacht? Was gibt mir Lebensenergie? Bei welchen Aktivitäten verliere ich die Zeit aus den Augen? Wo spüre ich mich, meinen Körper?“ In den Antworten findet man sich meistens schnell wieder.

Vielen Dank für deine Zeit, deine Offenheit und die Bilder, Michelle!